Gastkommentar
Moskau und Peking machen Front in dem sich entwickelnden neuen kalten Krieg gegen den Westen. Ein ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sind beste Mittel, um beider Revisionismus einzudämmen.
Andreas Umland und Hugo von Essen
24 Kommentare
5 min
In den letzten Jahren haben Peking und Moskau eine globale antiamerikanische und antiliberale Front aufgebaut. Die beiden Autokratien sind durch ihren Wunsch verbunden, nicht nur den Status der Ukraine und Taiwans, sondern auch die derzeitige Weltordnung zu revidieren. Russland könnte daher weiterhin erhebliche und möglicherweise sogar noch grössere Hilfe von China erhalten. Diese politische, wirtschaftliche und zunehmend auch militärische Unterstützung könnte die russische Wirtschaft über viele Jahre hinweg am Leben erhalten und den Krieg am Laufen halten.
Allerdings unterscheiden sich die Interessen Pekings in mehrfacher Hinsicht von denen Moskaus. Eine stärkere chinesische Unterstützung für Russland ist für die ohnehin krisenanfällige chinesische Wirtschaft riskant, sollte der Westen seine Sanktionen gegen chinesische Banken und Unternehmen ausweiten. Im März und im April 2024 gingen die chinesischen Exporte nach Russland zum ersten Mal seit Mitte 2022 im Vergleich zu denselben Monaten des Vorjahres zurück. Dies spiegelt die wachsende Vorsicht chinesischer Finanzakteure und Zahlungsprobleme ihrer russischen Kunden vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks der USA wider.
Skepsis bleibt angebracht
Ungeachtet dieser neuen Entwicklungen bleibt grosse Skepsis gegenüber Pekings offizieller, pseudo-pazifistischer Rhetorik angebracht. Die langjährige und systematische Unterstützung Russlands deutet darauf hin, dass China ein Interesse daran hat, die Temperatur der Konfrontation in der Ukraine hochzuhalten und aus ihren verschiedenen Nebeneffekten wirtschaftliche und geopolitische Vorteile zu ziehen. Der Krieg in Europa bindet westliche Ressourcen und lenkt die Aufmerksamkeit Washingtons von den Aktivitäten Pekings in anderen Teilen der Welt ab.
China ist nun der lachende Dritte im russisch-westlichen Konflikt um die Ukraine. Es profitiert von verschiedenen transnationalen Auswirkungen der Feindseligkeiten. Das betrifft vor allem Russland selbst, aber auch Europa, Asien und andere Orte, an denen Chinas politische und wirtschaftliche Konkurrenten durch den Krieg abgelenkt werden. Die Abhängigkeit Russlands von China ist bereits gross und nimmt weiter zu, da chinesische Unternehmen an die Stelle der früheren westlichen Handels- und Investitionspartner Russlands treten.
Es ist bemerkenswert, wie weit Peking gegangen ist, um Moskau zu unterstützen, obwohl dies negative Auswirkungen auf Chinas Beziehungen zur westlichen Welt hat.
Chinas relative Macht gegenüber Russland nimmt mit jedem Kriegsmonat zu. Die aufblühende Waffen- und Munitionsproduktion der russischen Rüstungsindustrie erzeugt ein Pseudowachstum, das einen tatsächlichen wirtschaftlichen Niedergang Russlands verschleiert. Auch die chinesische Wirtschaft wird derzeit von Schwierigkeiten geschüttelt. Sie wächst jedoch weiter und importiert verbilligte russische Rohstoffe und überschwemmt Russland mit ihren Konsumgütern.
Darüber hinaus lässt Moskau nach und nach zu, dass immer mehr seiner neuesten Militärtechnologien nach China transferiert werden. Obwohl Russland kein reiner Vasallenstaat ist, hat es keine andere Wahl, als den zunehmenden Forderungen Pekings nachzukommen – ob es sich nun um Rabatte auf Energiepreise, chinesische Präsenz in Zentralasien oder Unterstützung chinesischer Hegemonialbestrebungen in Süd- und Ostasien handelt, ein Problem mit traditionell engen Partnern Russlands wie Indien und Vietnam.
Pekings Scheinneutralität
Peking möchte, dass Moskau in der Ukraine weder völlig gewinnt noch völlig verliert. Ein russischer Sieg mit chinesischer Unterstützung würde Moskau stärken, aber den Westen von Peking weiter entfremden. Eine russische Niederlage würde Putins Regime destabilisieren und könnte einen politischen Wandel oder sogar einen Kollaps auslösen. Dies kann nicht nur dazu führen, dass China weniger Zugang zu billiger Energie, russischen Märkten, zur Arktis und zu militärisch-technologischen Geheimnissen hätte. Es könnte auch bedeuten, den wichtigsten Partner in Chinas langfristiger strategischer Rivalität mit den USA zu verlieren und Pekings Ziel zu gefährden, Washington als globale Führungsmacht zu überholen.
Angesichts solcher Interessen sollte man die chinesischen Friedensaufrufe nicht allzu ernst nehmen. Seit über zehn Jahren verstösst Peking mit seiner Unterstützung für Russland offenkundig gegen seine Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag (NVV). Heute weitgehend vergessen, hat China 1994 als Atomwaffenstaat im Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine zum NVV und 2013 im Rahmen des vollständig ratifizierten chinesisch-ukrainischen Freundschaftsvertrags die Achtung der Souveränität und der Grenzen der Ukraine proklamiert. Seit 2014 jedoch ist Pekings Schein-Neutralität und wirtschaftliche Unterstützung für Moskau eine entscheidende Voraussetzung für Russlands radikale Revision von Staatsgrenzen in Europa.
Schlimmer noch: Während sich Russlands völkermörderischer Krieg gegen die Ukraine entfaltet, leistet Peking zunehmend rhetorische Unterstützung für Moskaus apologetische Narrative, die für den «globalen Süden» produziert werden. Dies betrifft zum Beispiel die trügerische russische Formel von Moskaus angeblich «legitimen Sicherheitsbedenken». China hat die gezielte (Fehl-)Interpretation des Kreml-Konzepts der «unteilbaren Sicherheit» als zentralen Bestandteil seiner eigenen Aussenpolitik übernommen, um den Westen sowohl für den Krieg in der Ukraine als auch für die Spannungen im indopazifischen Raum verantwortlich zu machen.
Es ist bemerkenswert, wie weit Peking gegangen ist, um Moskau zu unterstützen, obwohl dies negative Auswirkungen auf Chinas Beziehungen zur westlichen Welt hat. Das Risiko eines Handelskriegs mit den USA steigt, das Verständnis des Westens für Taiwan nimmt zu, und Europa schliesst sich der ablehnenden Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber China an. Das Verhalten Russlands und Chinas hat die transatlantischen Beziehungen wiederbelebt und neue geopolitische sowie rüstungswirtschaftliche Diskurse in Europa induziert. Trotz diesen und weiteren negativen Folgen für Peking unterstützt China Russland weiterhin.
Mögliche Risse
Heute erwecken Peking und Moskau den Eindruck einer allmächtigen antidemokratischen und antiamerikanischen Koalition, zu der auch berüchtigte Schurkenstaaten wie Iran, Nordkorea oder Syrien gehören. Doch das Potenzial für Risse in diesem informellen Bündnis ist nur allzu offensichtlich. So könnten beispielsweise Russlands wachsende Beziehungen zu einem ermutigten Nordkorea zu einer schwierigen Ménage-à-trois-Dynamik mit China führen.
Peking ist vermutlich nicht an neuen Machtkonstellation in seinem Vorhof interessiert und von der zunehmenden amerikanischen Sorge um die koreanische Halbinsel wenig begeistert. Russland spielt für China nun eine Rolle, die der von Nordkorea immer ähnlicher wird – ein nützlicher, aber auch instabiler und sogar toxischer antiwestlicher Partner, den Peking nur schwer kontrollieren kann, aber dennoch unterstützen muss.
Nicht zuletzt sollte man nicht vergessen, dass, wie Matthew Kroenig in seinem Buch «The Return of Great Power Rivalry» gezeigt hat, autokratische Regime im Allgemeinen unter der Unbeständigkeit ihrer aussen- und innenpolitischen Angelegenheiten leiden. Die Weltgeschichte zeigt, dass offene politische Systeme mit Wettbewerb, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus nicht nur für ihre eigenen Bürger, sondern auch auf internationaler Ebene effektiver sind. Pluralistische Gemeinwesen sind besser in der Lage, sowohl mit internationalen Konflikten mit ihren Feinden als auch mit Spannungen mit ihren ausländischen Verbündeten umzugehen.
Vor diesem Hintergrund ist es für den Westen wichtig, in ambivalenten Situationen wie der aktuellen seine Ent- und Geschlossenheit zu bewahren. Konkret bedeutet dies heute, der Ukraine alle notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Ein mit westlicher Unterstützung errungener ukrainischer Sieg auf dem Schlachtfeld und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sind heute das beste Mittel, um russischen und chinesischen Revisionismus in Zukunft einzudämmen.
Andreas Umland und Hugo von Essen sind Analysten am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) im Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten (UI).
24 Kommentare
Bernhard Piller
7 Empfehlungen
Es ist nicht ganz einfach, einen Handelspartner, dem man gerade eine Klatsche mit bis zu 30 % Handelszöllen auf seinen Exporte gegeben hat, am nächsten Tag zur Solidarität in einer anderen Sache zu bewegen. Der Westen ist völlig naiv. wenn er glaubt, er könne das Weltgeschehen einfach allein steuern.
7 Empfehlungen
K. T.
4 Empfehlungen
Trau, schau wem. In diesem Fall keinem von beiden. Beide sind durch Schein-und Schauwahlen an die Macht gekommene Diktatoren totalitärer atombewaffneter Staaten, die jegliche Opposition im Keim ersticken und diese auch, ohne mit der Wimper zu zucken, skrupellos ausschalten.
4 Empfehlungen
Passend zum Artikel
Julia Kazdobina, Jakob Hedenskog und Andreas Umland
5 min
Andreas Umland
5 min
Andreas Umland
5 min
Mehr zum Thema Russland
Mehr zum Thema Russland Alle Artikel zum ThemaNZZ-Redaktion
8 min
NZZ Visuals
5 min
Erich Aschwanden
5 min
Martin Kölling, Tokio
3 min
Ulrich M. Schmid
6 min
Markus Ackeret, Moskau
3 min
Weitere Themen
- Xi Jinping
- Wladimir Putin
- Ukraine
- China